Hyperakusisbetroffen

Beschreibung von Hyperakusis, der Lage der Forschung, Therapie und zum Leben mit Hyperakusis.

Ein Text von Johannes Hilbich, Initiator der Hyperakusis-Selbsthilfegruppe Berlin

 

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Einleitung

Hyperakusisformen

Situation der Betroffenen

Hilfe für Betroffene

Forschung/

Anerkennung

Weitere Auswirkungen von Hyperakusis

 

Menschen mit Hyperakusis sind in ihrer Teilhabe am täglich Leben stark eingeschränkt. Ihre mit der Hyperakusis verbundenen Probleme werden vielfach von anderen nicht ernst genommen. Echte Hilfe und Unterstützung erfahren sie nur selten.

 

Vor einem Jahr habe ich deshalb die erste und bislang deutschlandweit einzige Selbsthilfegruppe für Hyperakusisbetroffene gegründet, als Möglichkeit für gegenseitigen Erfahrungsaustausch und Hilfe, um Mut zu machen und gemeinsam Wege zu finden, wie man die Grenzen krankheitsbedingter Einschränkungen ausdehnen kann.

 

Daneben gilt es, längerfristig gesehen, Perspektiven auszuloten, wie mehr Akzeptanz und Unterstützung in der Gesellschaft und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erreicht werden können.

 

Sowohl die Entwicklung besserer, leidensspezifischer Diagnoseverfahren, Therapien und Hilfsmittel, als auch die Anerkennung durch entsprechende Institutionen ist für die Betroffenen unabdingbar notwendig, sowohl für eine bessere Begleitung und Unterstützung bei der Krankheit, als auch für eine bessere Akzeptanz in der Gesellschaft, damit am Ende nicht der Verlust des Arbeitsplatzes und die soziale Isolation stehen.

 

Dem muss sicherlich ein höherer Bekanntheitsgrad der Krankheit in der Öffentlichkeit ebenso vorausgehen, wie eine fundierte Ermittlung von Betroffenenzahlen.

 

In der Gruppe durfte ich erfahren, wie differenziert und facettenreich sich die Krankheit in der Ausprägung ihrer Symptome, allen lexikalischen Definitionen und medizinischen Kategorisierungen zum Trotz, darstellen kann.

 

Entsprechend können die folgenden Informationen zur Situation von Hyperakusisbetroffenen nicht alle Formen und Symptomatiken dieser Krankheit abbilden. Vielmehr wird versucht am Beispiel sogenannter 'allgemeiner Hyperakusis' Einblick zu geben, in die vielfältigen Einschränkungen, mit denen Menschen mit Hyperakusis, egal welcher Definition, zurechtkommen müssen.

 

 

Der Begriff 'Hyperakusis' bezeichnet zunächst einmal nur eine vom Normalen abweichende Geräuschüberempfindlichkeit (= GÜ).

Dabei wird meist zwischen 4 Phänomenen unterschieden:

 

– dem Recruitment (GÜ bei gleichzeitigem Hörverlust, bzw. einer Funktionsstörung der Haarzellen im Innenohr),

– der Phonophobie (GÜ, die Ausdruck einer Angst vor Lärm ist),

– der Misophonie, auch als 'selektive Geräuschintoleranz' bezeichnet (GÜ gegen ganz bestimmte, meist von Menschen erzeugten Geräuschen) und

– der allgemeinen Hyperakusis bei Normalhörigkeit.

 

 

Von den Betroffenen einer sogenannten allgemeinen Hyperakusis werden oft schon Lautheiten unter 70 db als sehr schmerzhaft empfunden. Bei manchen liegt die sogenannte Unbehaglichkeitsschwelle sogar unter 60 db.

Neben Schmerzen werden auch Formen von Parakusis (Fehlwahrnehmung), 'Flattern' oder Taubheitsgefühlen im Ohr berichtet.

 

Wer davon betroffen ist, empfindet den Geräuschpegel auf der Straße, am Arbeitsplatz, beim Hallensport, bei einer angeregteren Diskussions-, fröhlichen Kneipen- oder Geburtstagsrunde, auf einem Fest, im Konzert, im Kino oder Theater oft als unerträglich, ebenso wie das Hupen von Autos, Motorengeräusche, Sirenen von Feuerwehr oder Polizeifahrzeugen, das Zuschlagen von Türen, scheppernde Einkaufswagen, bellende Hunde oder fröhlich juchzende Kinder. Aber auch ganz alltägliche Begleitgeräusche, wie die einer elektrischen Zahnbürste, eines Elektrorasierers, eines Föns oder Staubsaugers, das Verschieben von Stühlen, das Klingeln eines Telefons, oder lauteres Rauschen von Wasser werden zur Belastung, genauso wie das Klappern von Geschirr und Besteck oder die Geräusche von Küchenmaschinen.
 

Hyperakusis tritt oft in Verbindung mit einem Knalltrauma oder in der Folge eines Tinnitus auf. Die Ursachen von Hyperakusis sind nicht wirklich bekannt, bzw. erforscht. Es gibt hierzu nur wenige Studien. Vermutet wird eine verminderte Fähigkeit des Hörsystems, Geräusche abzuschwächen oder wegzufiltern. Man weiß auch, dass ein nicht mehr funktionierender Stapediusreflex eine Hyperakusis nach sich ziehen kann, wofür wiederum unterschiedliche, krankheits- oder verletzungsbedingte Auslöser verantwortlich sein können.

 

 

Gezielte Hilfsangebote für Hyperakusiker über das hinaus, was in Verbindung mit Tinnitustherapie angeboten wird, gibt es z.Zt. nicht. Sind Maßnahmen, wie Retraining, Musik-, Hör- und Verhaltensherapie, Entspannungstechniken, Ausdauersport und Psychopharmaka ausgeschöpft, evtl. noch ergänzt durch physiotherapeutische Behandlungen von HWS und/oder Kiefergelenk und vielleicht Akupunktur oder Neuraltherapie, gelten diese Menschen als 'austherapiert'.

 

Oft werden Misophonie und allgemeine Hyperakusis, selbst von HNO-Ärzten, mit Phonophobie gleichgesetzt. Entsprechend werden den Betroffenen als Therapie, wenn überhaupt, einzig Psycho- oder Verhaltenstherapien, Psychopharmaka und stressreduzierende Maßnahmen, wie z.B. das Erlernen von Entspannungstechniken angeboten.

 

Weil die Betroffenen keine Heilung erfahren, fühlen sie sich von ärztlicher Seite nicht ernst genommen. Und weil das soziale und berufliche Umfeld häufig auch nur wenig Verständnis für ihr Leiden zeigt, beginnen sie als zu laut empfundene Situationen zu meiden und sich aus dem alltäglichen Leben zurückzuziehen.
Die Folge sind zunehmende soziale Isolation und oft auch das berufliche Aus.

 

Bedingt durch dieses Sich-zurückziehen, treten Menschen mit Hyperakusis sowohl gesellschaftlich, als auch statistisch kaum in Erscheinung. Wissenschaftliche Erhebungen zur Anzahl von Hyperakusikern gibt es nur wenige und die, die es gibt, scheinen auf Grund der Art ihrer Erhebung nicht wirklich aussagekräftig.*

 

Nach meinem Dafürhalten spiegeln die Zahlen aus den oben genannten Gründen (die Betroffenen gehen aus Frust nicht mehr zum Arzt u. ziehen sich aus dem sozialen u. beruflichen Leben zurück) nicht die tatsächliche Zahl Betroffener wieder. Diese Vermutung fand ich u.a. durch Gespräche mit einer Ärztin gestützt, die 2010 zum Thema „Audiometrische Untersuchung der Hyperakusis“ promovierte u. große Schwierigkeiten hatte, überhaupt Probanden für ihre Untersuchungen zu finden.

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*So ergab eine poln. Studie von 1999 zur Geräuschüberempfindlichkeit in der Bevölkerung einen Anteil von 15% an Menschen mit Hyperakusis, eine deut. Studie aus dem selben Jahr einen Anteil von 5 % u. eine weltweite amerik. Fragebogenaktion von 2000 einen Anteil von 2 %

(Quelle: Artikel von Prof. Dr. G. Goebel im Journal „Tinnitus -Forum“).

 

 

Wegen des Fehlens von belastbaren Betroffenenzahlen aber, sehen Universitäten, pharmazeutische Unternehmen u. die Hersteller medizinischer Hilfsmittel keine Notwendigkeit, in die Entwicklung spezifischerer Diagnoseverfahren, Therapien, Medikamenten od. Hilfsmitteln zu investieren. Und deshalb wird dieses Leiden auch nach wie vor weder von Amtsärzten/Versorgungsämtern, noch von Krankenkassen wirklich anerkannt u. ist entsprechend auch nicht gelistet. Die Folge sind fehlende Beratung u. Unterstützung bei den wenigen, schon bekannten Therapiemöglichkeiten und bei drohender Berufsunfähigkeit.

 

 

 

Die durch laute Geräusche ausgelösten Schmerzen, Desorientiertheit oder sonstigen Symptome, die Angst und/oder Wut darüber, lauten Geräuschen fast überall ausgeliefert zu sein, die Konfrontation mit der Verständnis- und Rücksichtslosigkeit von Mitmenschen, das damit einhergehende an den Rand gedrängt- oder gar ausgeschlossen sein von gesellschaftlichen Aktivitäten, die Sorge um die 

wirtschaftliche Existenz, das Gefühl der Ausweglosigkeit und des nicht Ernstgenommenwerdens auf Grund fehlender Spezialisten, Diagnoseverfahren, Therapieangebote, von Medikamenten und med. Hilfsmitteln, aber auch das Desinteresse der Institutionen, das alles sind für die Betroffenen purer Stress.

 

Entsprechend kommen bei einem Teil der Betroffenen zusätzlich zur Hyperakusis noch alle möglichen Stresssymtome, wie Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Magen-/ Darmbeschwerden, Schlafstörungen, Depressionen, usw. hinzu.